Diese Verweisungs­möglichkeiten gibt es bei der Berufs­unfähigkeits­versicherung

Jan 23, 2020 | Versicherungsrecht

Eine Berufsunfähigkeitsversicherung (BU) soll Sie zuverlässig vor finanziellen Folgen schützen, wenn Sie aus gesundheitlichen Gründen Ihren Beruf nicht mehr ausüben können. Damit Sie im Ernstfall alle Leistungen erhalten, erfahren Sie hier, was eine sogenannte Verweisung ist und welche Unterschiede zu beachten sind.

Das ist eine Verweisung
Stellt das Versicherungsunternehmen die Berufsunfähigkeit im zuletzt ausgeübten Beruf fest, besteht die Möglichkeit einer Verweisung. Das bedeutet, dass die Versicherung den Betroffenen auf eine andere Tätigkeit als die zuletzt ausgeübte oder erlernte verweisen kann, in der er trotz seiner gesundheitlichen Einschränkungen noch arbeitsfähig ist.

Bei jeder Verweisung gilt: Die neue Tätigkeit muss den Kenntnissen und Fähigkeiten beziehungsweise der Ausbildung und Erfahrung des Versicherten entsprechen. Zudem müssen das soziale Ansehen der Verweisungstätigkeit vergleichbar mit der bisherigen Tätigkeit sein und die Gehaltseinbußen sich in Grenzen halten.

Die unterschiedlichen Verweisformen
Bei BU-Versicherungen werden zwei Arten der Verweisung unterschieden:

  • konkrete Verweisung
  • abstrakte Verweisung

I. Die konkrete Verweisung

Sollten Sie in Ihrem zuletzt ausgeübten Job berufsunfähig werden und stellen einen Leistungsantrag bei Ihrem Versicherer, prüft dieser, ob Sie in der Zwischenzeit eine andere Tätigkeit aufgenommen haben. Die neue Tätigkeit muss der bisherigen Lebensstellung entsprechen und es darf keine Berufsunfähigkeit in der Verweisungstätigkeit vorliegen. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, kann der Versicherer Sie auf diese Tätigkeit konkret verweisen. In diesem Fall erhalten Sie keine Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung.

Ein Beispiel: Als Außendienstmitarbeiter sind Sie durch ein sich stetig verschlechterndes Rückenleiden nicht mehr in der Lage, stundenlang mit dem Auto zu Kundenbesuchen zu fahren. Ihr Chef bietet Ihnen bei gleichem Gehalt eine Stelle im Innendienst an, die Sie annehmen.

Verweisung bei freiwilligem Erwerb neuer Fähigkeiten

Verschiedene beispielhafte Zweifelfälle machen es für Versicherungsnehmer schwierig zu erkennen, ob eine Klage gegen den Versicherer chancenreich ist. Insbesondere wenn der Versicherer freiwillig neue Fähigkeiten zum Ausüben einer neuen Tätigkeit erworben hat, zeigen die Rechtsprechungen der Vergangenheit, wie stark die Entscheidung vom Einzelfall abhängig ist.

Ob eine Berufsunfähigkeitsversicherung ihr Recht auf konkrete Verweisung nutzen darf, ist abhängig von der Angemessenheit der alternativen Tätigkeit, auf die verwiesen wird. Zur Bewertung der Angemessenheit liegen die bereits benannten Kriterien zugrunde: Der Verweisungsberuf muss der bisherigen Lebensstellung, Ausbildung und Erfahrung des Betroffenen entsprechen. Das Einkommen und die soziale Stellung der vorher ausgeübten und der Verweisungstätigkeit müssen vergleichbar sein.

Was hierbei als “angemessen” gilt, liegt im Ermessen des Betrachters – der Versicherer wird hier natürlich großzügig zu seinen Gunsten bewerten. Doch nicht immer ist die Situation eindeutig!

Ungültige Verweisung: Leistungsanspruch trotz Umschulung

In einem Fall war der klagende Versicherungsnehmer als selbstständiger Gas- und Wasserinstallateur-Meister tätig. Diesen Beruf konnte er auf Grund schwerer depressiver Episoden nicht mehr ausüben und er machte seine Ansprüche gegenüber der Berufsunfähigkeitsversicherung, die Teil einer Lebensversicherung war, geltend. Die Versicherung erkannte die Berufsunfähigkeit an und erbrachte zunächst die bedingungsgemäßen Leistungen. Nachfolgend überprüfte sie durch regelmäßig zugesandte Fragebögen den gesundheitlichen und beruflichen Stand des Klägers. Dieser schloss einige Jahre nach dem Eintritt der Berufsunfähigkeit eine Ausbildung zum medizinisch-technischen Laborassistenten (MTLA) erfolgreich ab, anschließend fand er auch eine befristete Anstellung in diesem Beruf mit einem Verdienst in Höhe von 2.450 €.

Der Versicherer wollte ihn nun auf diesen Beruf verweisen und war der Auffassung, der neue Beruf entspreche der bisherigen Lebensstellung des Versicherungsnehmers und genüge seiner Qualifikation. Überdies verfüge er nun über ein besseres Einkommen, weniger Arbeitszeit und soziale Absicherung. Das Landgericht Heidelberg gab jedoch dem auf Leistung klagenden Versicherungsnehmer recht: Der selbstständige Gas- und Wasserinstallateur-Meister genieße ein höheres Ansehen als ein angestellter MTA. Im Übrigen komme es nicht darauf an, ob der Versicherungsnehmer durch eine neue Tätigkeit mehr Freizeit und ein höheres Einkommen sowie eine soziale Absicherung habe. Die Verweisbarkeit richte sich nach der Vergleichbarkeit der Lebensstellung sowie der Qualifikation.

Noch ein Urteil zur Frage der Berufsunfähigkeit

Urteil 10 U 649/16: Nach den AVB lag vollständige Berufsunfähigkeit vor, „wenn der Versicherte infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls (…) voraussichtlich dauernd außerstande ist, seinen Beruf oder eine andere Tätigkeit auszuüben, die aufgrund seiner Ausbildung und Erfahrung ausgeübt werden kann und seiner bisherigen Lebensstellung entspricht“. Der VN war Konstruktionsmechaniker. Nach einem Arbeitsunfall schulte er zum Bürokaufmann um.

Das Landgericht nahm an, dass sich das Gehalt im alten Beruf auf 2.475 € erhöht hätte, während der VN als Bürokaufmann nur 2.000 € verdiente. Da die Einbuße weniger als 20% betrage, sei sie noch zumutbar. Der VN sei daher nicht mehr berufsunfähig.

Der Senat nahm Fortdauer der Berufsunfähigkeit an:„Bei Einbußen von 0 bis 10 % ist Gleichwertigkeit der Lebensstellung in aller Regel anzunehmen; bei Einbußen von 10 bis 20 % ist die Gleichwertigkeit der Lebensstellung fraglich mit Tendenz zur Gleichwertigkeit; bei Einbußen von 20 bis 30 % ist die Gleichwertigkeit der Lebensstellung fraglich mit deutlicher Tendenz zur Ungleichwertigkeit; und bei Einbußen über 30 % liegt in der Regel eine Ungleichwertigkeit der Lebensstellung vor.“

Aber: „Die präzise feststellbare prozentuale Einkommensminderung und der Verlust der Aussicht auf weitere Gehaltserhöhungen zusammengenommen führen zu einer spürbaren Verschlechterung der Lebensstellung im konkreten Fall und stehen der Verweisung entgegen.

Keine Verweisbarkeit nach Umschulung wegen fehlender Regelung im Versicherungsvertrag

Auf eine Verweisungstätigkeit aufgrund neu erworbener Fähigkeiten kann sich der Versicherer zudem dann nicht berufen, wenn die Bedingungen des Berufsunfähigkeitsversicherers gar keine Berücksichtigung dieser vorsieht.

Dies zeigt eine Entscheidung des LG Nürnberg-Fürth (Az.: 2 O 3404/16). Der ausgebildete Koch war infolge eines Fahrradunfalls berufsunfähig geworden. Zunächst hatte die Versicherung ihre Leistungspflicht anerkannt. Als der Versicherungsnehmer jedoch vier Jahre später eine Umschulung als Veranstaltungskaufmann absolvierte und dann als Betriebsleiter in einer Seniorenresidenz arbeitete, stellte die Versicherung die Leistungen ein.

Mit seiner Klage begehrte der Versicherungsnehmer Fortzahlung seiner Rentenansprüche und trug vor, dass die Berufe zwar finanzielle, jedoch keine soziale Vergleichbarkeit hätten, zudem träfen die Versicherungsbedingungen keinerlei Regelung zur Verweisung aufgrund neu erlangter Fähigkeiten.

Das LG gab der Klage daraufhin statt. Die zwischen den Parteien geltenden Versicherungsbedingungen beschränkten sich lediglich darauf, dass die Verweisungstätigkeit der bisherigen Lebensstellung des Versicherten entspreche. Unter Verweis auf die Rechtsprechung des BGH (Az.: IV ZR 434/15) werde die Lebensstellung des Versicherten von der Qualifikation seiner Erwerbstätigkeit bestimmt, die sich ebenso wie die Vergütung dieser Tätigkeit wiederum daran orientierte, welche Kenntnisse und Erfahrungen die ordnungsgemäße und sachgerechte Ausübung der Tätigkeit voraussetze. Die bisherige Lebensstellung werde daher durch Fähigkeiten, Kenntnisse und Erfahrungen geprägt. Dies umfasse jedoch keine Kenntnisse und Fähigkeiten, die erst nach dem Versicherungsfall erlangt wurden.

Das Gericht lehnte daher eine Verweisung des Klägers auf die Tätigkeit als Betriebsleiter ab, da er diese Tätigkeit ohne die im Rahmen seiner Ausbildung zum Veranstaltungskaufmann erworbenen kaufmännischen Kenntnisse nicht hätte ausüben können.

II. Die abstrakte Verweisung: Mehr Risiko für den Versicherten

Ist im Vertrag eine abstrakte Verweisung vereinbart, hat der Versicherer mehr Möglichkeiten, Sie im Falle einer Berufsunfähigkeit auf andere Tätigkeiten zu verweisen. Er darf Sie dann auf jeden anderen Job verweisen, den Sie aufgrund Ihrer Kenntnisse und Fähigkeiten ausüben könnten. Zudem muss er Ihrer Lebensstellung entsprechen und es darf keine Berufsunfähigkeit in der Verweisungstätigkeit vorliegen. Es reicht aus, dass entsprechende Stellen auf dem Arbeitsmarkt vorhanden sind. Dabei ist es nicht entscheidend, ob sie tatsächlich eine Anstellung in diesem Beruf finden – was zählt, ist die potenzielle Fähigkeit des Versicherten. Einzige Auflage für die Versicherung:

Die Verweisungstätigkeit muss

  • dem Versicherten geistig und körperlich zumutbar sein,
  • seiner bisherigen Lebensstellung hinsichtlich Einkommen und Wertschätzung gerecht werden und
  • seiner Qualifikation, das heißt seiner Erfahrung und seinem Wissen, entsprechen.

Ob Sie in der Verweisungstätigkeit eine Anstellung erhalten, spielt keine Rolle. Wenn der Versicherer feststellt, dass es eine abstrakte Verweisungstätigkeit gibt, erhalten Sie keine Leistungen aus Ihrer Berufsunfähigkeitsvorsorge.

Bezogen auf das oben erwähnte Beispiel des Außendienstmitarbeiters mit dem Rückenleiden würde das bedeuten: Sollte der Versicherer Sie abstrakt auf eine Innendiensttätigkeit verweisen, dann obliegt es Ihnen, ob Sie eine solche Stelle auch tatsächlich erhalten.

Abstrakte Verweisung unrechtmäßig: Keine vergleichbare Ausbildung und Reputation

Nicht jede abstrakte Verweisung durch die Versicherung ist rechtmäßig! Wird von der Versicherung ein Beruf als Verweisungstätigkeit angegeben, der der bisherigen Lebensstellung oder der Ausbildung des Versicherungsnehmers nicht entspricht, kann eine Klage zur Geltendmachung der Ansprüche eingereicht werden.

Das OLG Hamm beschäftigte sich bereits mit den Anforderungen an den Versicherer beim Aufzeigen von Verweisungsberufen (AZ.: 20 U 178/16). Hier wurde der in gesunden Tagen als Betriebsschlosser tätige Versicherungsnehmer auf eine Tätigkeit als Hausmeister verwiesen.

Nachdem das LG Münster die Ansicht des Versicherers zunächst teilte, folgte das OLG Hamm der erstinstanzlichen Entscheidung nicht. Es bejahte vielmehr den Anspruch des Versicherungsnehmers. Eine Verweisung auf den Beruf als Hausmeister scheide aufgrund der gesundheitlichen Verfassung des Klägers von vornherein aus. Hier reichte bereits der Vortrag des Versicherers mit Hinweis auf das Urteil des BGH vom 30.05.1990 (AZ.: IV ZR 43/89) nicht aus. Für den Versicherungsnehmer genüge dessen Behauptung, er könne keine andere Tätigkeit ausüben.

Der Versicherer müsse jedoch einen weitaus konkreteren Vortrag leisten. So komme es insbesondere auf die Darlegung der Bedingungen, wie die üblichen Arbeitsplatzverhältnisse, Arbeitszeiten, die übliche Entlohnung, erforderliche Fähigkeiten und körperliche Kräfte an. Der Vortrag zum Verweisungsberuf müsse dabei so konkret sein, dass er es dem Versicherungsnehmer ermöglicht, ihn mit Beweisangeboten zu bekämpfen (BGH, Urteil vom 12.01.2000 – IV ZR 85/99). Diesen Erfordernissen konnte die Beklagte im konkreten Fall nicht genügen.

Aus gleichen Gründen gelang es dem Versicherer im Rahmen der Entscheidung des LG Berlin (Az.: 24 O 37/17) nicht, die ehemals als Intensiv-Krankenschwester tätige Klägerin auf den Beruf der Arztsekretärin zu verweisen.

Abstrakte Verweisung nach temporärem Ausscheiden aus dem Job

Kommt es zur Berufsunfähigkeit des Versicherten, nachdem dieser – meist wegen Elternzeit – einige Zeit lang nicht in seinem ehemals ausgeführten Beruf tätig war, nutzen Versicherungen diese Möglichkeit, um die Leistungsansprüche des Betroffenen zu senken. Ein Ausscheiden aus dem Job für etwa drei bis fünf Jahre kann zur Folge haben, dass der Versicherer nun die Tätigkeit als Hausfrau/ Mutter bzw. Hausmann/ Vater als Maßstab für die abstrakte Verweisung nimmt.

Wichtig: Verzicht auf abstrakte Verweisung in der BU-Police

Für den Abschluss von Berufsunfähigkeitsversicherungen ist es empfehlenswert, Verweisungsklauseln aus dem Vertrag zu bannen. Für den Laien sind sie vergleichsweise schwer unter den zahlreichen Versicherungskonditionen auszumachen, insbesondere weil der Versicherer selbstverständlich nicht die ausdrücklichen Begriffe “abstrakte Verweisungsklausel” bzw. “konkrete Verweisungsklausel” verwendet. Auf den Verzicht der abstrakten Verweisungsklausel sollte aber aufgrund ihrer Auswirkungen unbedingt geachtet werden!

Probleme mit der Berufsunfähigkeitsversicherung? Rechtsanwalt konsultieren!

Wegen der rechtlichen und tatsächlichen Besonderheiten in Versicherungsprozessen sollten Sie sich unbedingt an eine auf Versicherungsrecht spezialisierte Kanzlei wenden. Wir beraten und vertreten Sie gern bei der Geltendmachung Ihrer Ansprüche im Bereich abstrakte und konkrete Verweisung in der Berufsunfähigkeitsversicherung. Sprechen Sie uns an, wir unterstützen Sie gern.

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